Das fleischgewordene Wir

Paare, die das Wort "allein" aus dem Wortschatz gestrichen haben, sind mir zu wider. Weniger noch scheinen sie Wörter, wie individuell oder eigenständig zu kennen.

Es scheint Menschen zu geben, die alles teilen und sich wohl nur für einen Gang auf das stille Örtchen entzweien. 

Eine besondere Spezie der Klettenfamilie wächst heran.

Es gibt nichts, was sie trennt. Alles gemeinsam zu erleben und zu machen, dass hört sich nach der anfänglichen überschwänglichen Verknalltheit an. Doch manche Paare behalten diese Eigenschaft über Jahre bei.

Aus zwei halben "Wir" wird plötzlich ein Ganzes, dass ohne das andere nicht leben kann.

Doch bleibt bei diesen Menschen nicht das eigene Ich auf der Strecke? 

Das findet mittlerweile keine Erwähnung mehr, denn alles was man mag oder auch nicht leiden mag, wird an die Umwelt mit Sätzen wie "Wir finden das total lustig." oder "Wir finden wir sollten zusammenziehen." im Keim erstickt.

Das eigene Ich hat nicht einmal eine Befugnis im geteilten Bett oder beim allmorgendlichen Frühstücksei.

Das unerträgliche "Wir" erklingt öfter als ein klares, bestimmtes "Ich". Es wird nur gemeinsam entschieden, denn es scheint als habe das Individuum seine Stimme verloren auf dem langen Weg der einengenden Beziehung. 

Doch ist es wahre Liebe, wenn man sich nur noch im Doppelpack präsentiert? Ist der Einzelne nicht manchmal genug. Mögen einen die Freunde doch sicherlich auch einmal nur mit einem treffen.

Bedauerlicherweise sind es meist die Frauen, die durch das "Wir" eine starke Beziehung und Bindung an die Außenwelt geben wollen. So kann man allen zeigen, wie sehr man sich doch liebt und wie perfekt man zusammen passt. 

Doch wenn man im Innern einiger dieser Beziehungszombies nachsehen würde, gebe es da womöglich ein leises Stimmchen, welchen kaum zu Wort kommt.

Muss man denn alles gut finden? Muss man immer gemeinsam in den Urlaub fahren? Darf man in Zukunft nur noch zusammen essen gehen? Trifft man sich nur zum jährlichen Diashow des letzten Urlaubs mit den Freunden? Muss zwangsläufig alles geteilt werden bis auf die Kleidung und Zahnbürste?

NEIN!

Wächste eine gesunde und erwachsene Beziehung nicht auch an Gegensätzen? Man kann doch seinen Standpunkt vertreten und den Gegenüber abgöttisch lieben. Alleine ausgehen mit Freunden oder mit der besten Freundin oder dem besten Freund in den Urlaub fahren sollte doch möglich sein und würde sicher in manchen Beziehungen heilvoll sein.

So lasset den Geliebten einmal ziehen und er wird wiederkehren, wenn die Liebe wirklich so groß, wie gesagt.

Bilder: Fashion Gone Rouge